Mary Baker Eddys Interview mit Arthur Brisbane
Die zeitgenössischen Medien lieferten ihren Leser:innen die unterschiedlichsten Berichte über Mary Baker Eddy. Einige teilten die in einem Bericht des New York Heralds geäußerte Meinung, sie sei eine geheimnisumwobene „verborgene Prophetin“.1 Andere stimmten dieser Einschätzung nicht zu.2
Mary Baker Eddy hatte natürlich Kenntnis sowohl von den negativen als auch den positiven Darstellungen ihrer Person in der Tagespresse und der christlich-wissenschaftlichen Bewegung und Auszüge dieser Artikel sind in den Sammelalben in ihrem Haushalt zu finden. Sie hatte seit ihrer Kindheit Sammelalben angelegt, doch als ihre Zeit stärker in Anspruch genommen wurde, übernahmen Angehörige ihres Haushalts diese Aufgabe für sie.
Die Sammlungen der Mary Baker Eddy Bibliothek enthalten 33 Sammelalben, die von Mrs. Eddy oder jemandem in ihrem Haushalt zusammengestellt wurden. Darin befinden sich u. a. Zeitungsausschnitte, Andenken und Briefe. Die auf ihren Seiten eingeklebten Papiere berichten nicht nur von einer Person oder einem Ort, sondern geben auch den historischen Kontext einer bestimmten Zeit, eines Zeitabschnitts oder Ereignisses wieder.3 Sie helfen, das Wachstum und die Entwicklung der Bewegung der Christlichen Wissenschaft aufzuzeigen. In ein Sammelalbum wurden sieben Seiten eines Artikels von Arthur Brisbane in der Zeitschrift Cosmopolitan vom August 1907 mit dem Titel „An Interview with Mrs. Eddy“ [Ein Interview mit Mrs. Eddy] sauber eingeklebt. Der Artikel könnte in den insgesamt 67 Seiten des Albums leicht untergehen, erzählt aber eine umfassendere Geschichte.4 Hier eine Detailaufnahme.
Die Jahre 1906 und 1907 brachten zwei wesentliche Angriffe auf Mrs. Eddy in der Presse mit sich. Joseph Pulitzers New York World veröffentlichte Ende 1906 einen vernichtenden Artikel. Er trug die Überschrift „Mrs. Mary Baker G. Eddy Dying; Footman and ‘Dummy’ Control Her“ [Mrs. Mary Baker G. Eddy im Sterben; Diener und ‚Strohmann‘ kontrollieren sie] und berichtete, dass es mit Mrs. Eddys Gesundheit bergab ginge und sie in ihrem Haus festgehalten würde. Pulitzer hatte Reporter zu ihrem Haus nach Concord, New Hampshire, geschickt. Und obwohl sie wenige Fakten gesammelt und nur ein kurzes Interview mit ihr geführt hatten, berichteten sie der Welt, dass ihr Sekretär und ihre Mitarbeiter:innen sie und ihr großes Vermögen manipulierten.5 Im Januar 1907 begann McClure’s Magazine dann eine Reihe von Artikeln über Mrs. Eddy, die unverhohlene Lügen enthielten, um sie und ihre Bewegung zu brandmarken.
Andere Zeitungen und Zeitschriften druckten den Artikel in der New York World und einige der sensationalistischen Teile aus der Serie in McClure‘s nach, wodurch viel Aufsehen in der Presse in den gesamten USA und sogar darüber hinaus erregt wurde. Die Öffentlichkeit war nun überzeugt, dass Mrs. Eddy im Sterben lag und Mitglieder ihres Haushalts über sie bestimmten. Die Biografin Gillian Gill schreibt, dass Pulitzer „sich nicht scheute, [Mrs. Eddy] dem prüfenden Blick der Öffentlichkeit auszusetzen.“ Wie Gill erklärt, war zwar die Sensationsberichterstattung in der New York World ohne Grundlage, doch Mrs. Eddys Abgeschiedenheit in Concord hatte eine Atmosphäre des Mysteriösen geschaffen:
Die New York World wurde aus Sensationslust gelesen, nicht aus einem Wunsch nach Wahrheit, und selbst nach eigenem Ermessen der Zeitschrift waren die Behauptungen in diesem Artikel über Mary Baker Eddy extrem …, zudem muss man die Besonderheit von Mrs. Eddys Situation verstehen. Sie war immer berühmter geworden, ihre Bewegung hatte mehr und mehr an Einfluss gewonnen, doch sie hatte sich 1889 nach New Hampshire zurückgezogen. Und seit Ende der 1890er-Jahre konnten immer weniger Menschen berichten, mit ihr gesprochen oder einen handgeschriebenen Brief von ihr erhalten zu haben.6
Am 1. März 1907 reichte William E. Chandler Klage ein, um Mrs. Eddy und ihre Vermögenswerte zu „schützen“. Pulitzer hatte Chandler engagiert, um das in Gang zu setzen, was als das „nächste Freunde“ Verfahren bekannt wurde, denn er hatte das Gefühl, es sei seine Pflicht, Mrs. Eddy zu retten und „die essenzielle Wahrheit (wenn auch nicht die präzise zutreffenden Tatsachen!) der jüngsten Behauptungen seiner Zeitschrift“ zu beweisen.7 Interessanterweise zog sich Pulitzer aus der Klage zurück, bevor sie überhaupt eingereicht wurde. Chandler übernahm die Leitung und behauptete, er würde Mrs. Eddy und ihren Sohn George Washington Glover, Jr., und die „nächsten Freunde“ Mary Baker Glover (Enkelin) und George W. Baker (Neffe) rechtlich vertreten, da Mrs. Eddy sich nicht selbst verteidigen könne. Später schlossen sich Ebenezer J. Foster Eddy (Adoptivsohn) und Fred W. Baker (Cousin) der Klage an, obwohl Fred Baker sich später wieder zurückzog.8 Mrs. Eddy war der Ansicht, dass sie und ihre Bewegung persönlich angegriffen wurden – und die Zeitungsartikel über dieses Gerichtsverfahren, die in ihren Sammelalben enthalten sind, bestätigen diese Schlussfolgerung durchaus.9
General Frank S. Streeter, Mrs. Eddys Rechtsbeistand, kam zu dem Schluss, dass sie sich selbst äußern musste, um diese Aussagen in der Presse zu widerlegen. Aus diesem Grund setzten sie und ihre Berater etwas in Gang, was Gill als „eine brillante Reihe von ‚PR-Schachzügen‘“ bezeichnet. Streeter organisierte fünf Interviews mit verschiedenen Journalisten und zwei bekannten Psychologen (die Mrs. Eddys mentale Fähigkeiten einschätzten). Sie alle hatten viel Gutes über sie zu sagen.10
Das bekannteste dieser Interviews stammt von Brisbane, einem Reporter, der der amerikanischen Öffentlichkeit durch seinen klaren und schnörkellosen Schreibstil bekannt war. Er traf am 8. Juni 1907 mit Mrs. Eddy zusammen und veröffentlichte seinen Bericht in der Cosmopolitan vom August. Als erfahrener Reporter hatte er für mehrere verschiedene Zeitungen gearbeitet, darunter die New York Sun und die World, und hatte sich durch seine tägliche Kolumne namens „Today“ [Heute] eine nationale Leserschaft aufgebaut. Als er 1936 starb, war Brisbane der höchstbezahlte Journalist Amerikas.11 12
Streeter entschied sich für die Cosmopolitan, denn diese Zeitschrift hatte die Christliche Wissenschaft fair behandelt. In einem Brief vom Juli 1907 empfahl Alfred Farlow den Komitees für Veröffentlichungen der Kirche diese Zeitschrift als freundlich gesinnt.13 Die Cosmopolitan hatte Mrs. Eddy sogar Anfang 1907 eingeladen, einen Artikel zur Verteidigung der Christlichen Wissenschaft zu schreiben.14
Als Brisbane über sein Zusammentreffen mit Mrs. Eddy schrieb, bekamen die Leser:innen eine bessere Vorstellung von ihr. Brisbane berichtete, dass Mrs. Eddy in einem einfachen Haus lebte und von fürsorglichen Angestellten umgeben war. Er beschrieb sie als rüstig und gesund, obgleich sie fortgeschrittenen Alters war:
Sie ist mittelgroß und sehr schlank. Sie wiegt sicher keine 50 kg. Doch sie hält sich sehr gerade, wenn sie aufsteht und geht. Der Druck ihrer dünnen Hand ist fest; die Hand zittert nicht … (ihr) Gesicht weist fast keine Falten auf … Mrs. Eddy hat Macht in dieser Welt erlangt … Doch es ist eine sanfte Macht und sie befindet sich in der Hand einer sanften, zurückhaltenden, bescheidenen Frau. … bei Mrs. Eddy sieht man nur das Gesicht, die sehr ehrlichen Augen und den schönen, ruhigen Ausdruck, den nur Alter und Geisteskraft einem menschlichen Gesicht verleihen kann … 15
Brisbane stellte fest, dass Mrs. Eddy unabhängig und fähig ist, ihre Finanzen und ihren Haushalt selbst zu führen. Er berichtete sorgfältig von ihrer klaren Denkweise und kam zu dem Schluss, dass sie „nur liebevolle Ehrerbietung und Wohlwollen“ verdient.16
Brisbanes Artikel half, die negativen Angriffe auf Mrs. Eddy in der Presse abzuwenden. Seinem Bericht konnte man vertrauen, denn er war ein professioneller Journalist, dessen Respekt für Mrs. Eddy nie nachließ, obwohl er kein Christlicher Wissenschaftler war.17 Er berichtete seiner Bekannten Helena Hoftyzer, dass es sein „Privileg“ war, Mary Baker Eddy zu interviewen, die „zu den klarsten Denkern gehört, denen ich jemals begegnet bin“. Laut Hoftyzer heilte Mrs. Eddy Brisbane während des Interviews auch von Erschöpfung, wodurch er ein besseres Verständnis von dem Wert ihrer Lehre erlangte.18
Mrs. Eddy schrieb Brisbane später, das Interview sei „ein „ungewöhnliches Vergnügen“ gewesen, „das ich mir gestattet habe.“19 Brisbanes Bewunderung für Mrs. Eddy dauerte über ihren Tod 1910 hinaus an. Er war einer der Sargträger bei ihrer Beerdigung.20
- Joseph I. Clarke, „The Veiled Prophet of Christian Science“ [Die verborgene Prophetin der Christlichen Wissenschaft], The New York Herald, 5. Mai 1901.
- Weitere Informationen über Mary Baker Eddy und die Presse finden sich in The Writings of Mary Baker Eddy und The Mary Baker Eddy Library for the Betterment of Humanity, In My True Light and Life [In meinem wahren Licht und Leben] (Boston: The Christian Science Board of Directors, 2002), 11–770.
- Weitere Informationen zu Sammelalben finden sich in Eva H. Buchanan-Cates, „Scrapbooks: troublemakers and treasures in the archives“ [Sammelalben: Störenfriede und Schätze im Archiv], National Museum of American History, 30. September 2017, https://americanhistory.si.edu/blog/scrapbooks-archives.
- SB009.
- Isabel Ferguson und Heather Vogel Frederick, A World More Bright: The Life of Mary Baker Eddy [Eine strahlende Welt: Das Leben von Mary Baker Eddy] (Boston: The Christian Science Publishing Society, 2013), 172–175.
- Gillian Gill, Mary Baker Eddy (Reading, Massachusetts: Perseus Books, 1998), 472, 474–475.
- Ebd., 479.
- Ferguson und Frederick, S. 176–180.
- Robert Peel, Mary Baker Eddy: The Years of Authority [Mary Baker Eddy: Die Jahre der Autorität] (New York: Holt, Rinehart and Winston, 1977), S. 282.
- Gill, 511–516.
- „Brisbane Career Story of Activity In Editorial Field“ [Brisbanes berufliche Laufbahn im redaktionellen Umfeld], The Christian Science Monitor, 26. Dezember 1936, 5.
- Siehe In My True Light and Life [In meinem wahren Licht und Leben], 744–751.
- Alfred Farlow an die Komitees für Veröffentlichungen, 11. Juli 1907, L18126.
- Perriton Maxwell (Chefredakteur, Cosmopolitan Magazin) an Mary Baker Eddy, 23. Januar 1907, IC659b.70.042.
- SB009.
- Ebd.
- Mildred Seydell, „Realizes Ambition of Twenty Years; Talks With Arthur Brisbane“ [Setzt zwanzigjähriges Ziel um; spricht mit Arthur Brisbane], Atlanta Journal, ohne Datum, Standort in der Mary Baker Eddy Sammlung: Subject File, Arthur Brisbane.
- Helena Hoftyzer, ohne Titel, 27. Juli 1942, Erinnerungen, 3, 4–5.
- Mary Baker Eddy an Arthur Brisbane, 8. Juni 1907, V03069.
- Arthur Brisbane, ohne Titel, 23. Mai 1943, Erinnerung.