Eine bemerkenswerte Geschichte über Beharrlichkeit
Am 7. Dezember 1941 griff Japan die amerikanische Militärbasis Pearl Harbor in der Nähe von Honolulu, Hawaii an. Am nächsten Tag wurde mit einem Angriff auf das 8.850 km südwestlich gelegene Hongkong begonnen. Nur zwei Wochen später, am Weihnachtstag, kapitulierte Hongkong, und so blieben etwa 3.000 nicht-chinesische und nicht den Achsenmächten zugehörige Zivilistinnen und Zivilisten in japanischer Hand.
Während Soldaten in Kriegsgefangenenlager gebracht wurden, mussten für die gefangen genommenen Zivilistinnen und Zivilisten andere Regelungen getroffen werden. Im Januar 1942 richtete Japan das Stanley Internierungslager auf einer Halbinsel ein, auf der es eine Festung, eine Hochschule, eine weiterführende Schule, ein Dorf und ein Gefängnis gab.1 Die Insassinnen und Insassen des Lagers hatten sehr unterschiedliche nationale und religiöse Hintergründe. Die meisten waren britisch, aber es gab auch mehrere hundert Gefangene aus den USA, aus Kanada, den Niederlanden und anderen Nationalitäten.2 Unter den religiösen Gruppen des Lagers waren Menschen katholischen Glaubens, eine Vielzahl an protestantischen Konfessionen und Angehörige der Christlichen Wissenschaft.3 Das Archiv der Mary Baker Eddy Bibliothek enthält Aufzeichnungen und Erinnerungsstücke an die Gottesdienste, die von den Angehörigen der Christlichen Wissenschaft während ihrer Gefangenschaft abgehalten wurden. Diese Aufzeichnungen offenbaren eine bemerkenswerte Geschichte über Beharrlichkeit und Widerstandsfähigkeit, die selbst nach 80 Jahren noch inspiriert.
Auch wenn das Stanley weder ein Kriegsgefangenenlager noch ein Konzentrationslager war, so waren die Bedingungen doch sehr hart. Als den Zivilistinnen und Zivilisten zum ersten Mal befohlen wurde, sich zu versammeln, wurde ihnen nicht gesagt, dass sie interniert werden würden. Ohne die Möglichkeit zu haben, nach Hause zurückzukehren, wurde ihnen lediglich erlaubt, das ins Lager mitzubringen, was sie bei sich trugen. Die Verhältnisse waren beengt. Bungalows der St. Stephens Hochschule, die für die Unterbringung von vier Menschen ausgelegt waren, beherbergten nun 30 oder mehr. Die meisten Internierten wurden auf dem Gelände des Stanley Gefängnisses festgehalten, allerdings nicht direkt im Gefängnistrakt. Die größte Herausforderung für die meisten von ihnen war, genug zu essen zu bekommen. Sie erhielten zwei Mahlzeiten am Tag, in der Regel eine kleine Schüssel mit Reis und ein bisschen wässrigen Eintopf. Krankheiten und Verdauungsprobleme waren an der Tagesordnung. Ohne die von Freunden und vom Roten Kreuz geschickten Hilfsgüter und ohne das, was in der Lagerkantine und auf dem Schwarzmarkt beschafft werden konnte, wären die Umstände noch schwieriger gewesen.4
Eine der internierten Christlichen Wissenschaftlerinnen war Annette Rowell. Sie erzählt darüber in einem Zeugnis, das am 19. Oktober 1946 im Christian Science Sentinel veröffentlicht wurde:
Ich kam nur mit den Gegenständen im Stanley Internierungslager an, die ich in zwei kleinen Körben tragen konnte, das Wertvollste davon waren meine Bibel und das Lehrbuch der Christlichen Wissenschaft. Die Demonstration von Versorgung war fast wie bei der mit den Broten und den Fischen. Niemals vergaß ich Gott mehrmals am Tag zu danken, in dem Bewusstsein, dass Er die einzige Quelle der Versorgung ist und dass Er jedes meiner menschlichen Bedürfnisse stillen kann und dies auch tut. Umgeben von fast dreitausend Menschen, belastet mit der Furcht vor dem Verhungern, kann ich voll Dankbarkeit sagen, dass ich nicht ein einziges Mal den Schmerz des Hungers fühlte. Ich wurde wunderbar versorgt und erfuhr Tag für Tag Stärkung.5
Tatsächlich war Religion für viele ein großer Trost angesichts der zahlreichen Herausforderungen und Entbehrungen. Die Japaner dort waren meist tolerant in Bezug auf Religion und erlaubten Glaubensgemeinschaften Gottesdienste abzuhalten. Während viele Gruppen sich zum Gebet zusammentaten, hielt die der Christlichen Wissenschaft, so wie andere auch, ihre eigenen Gottesdienste ab.6
Aufzeichnungen dieser Gottesdienste der Christlichen Wissenschaft offenbaren die Widrigkeiten im Lager, aber auch die Widerstandsfähigkeit und das Gemeinschaftsgefühl aller Beteiligten. Ein vierteljährlicher Bericht der Schriftführung, datiert vom 23. Februar 1945, geht auf einige dieser Schwierigkeiten ein, mit denen sie konfrontiert waren. Ein Problem waren die physischen Umstände. Auch wenn berichtet wurde, dass die Gottesdienste im Allgemeinen gut verliefen, so war es im Gemeinschaftsraum, in dem die Treffen stattfanden, zunehmend kalt geworden. Zwar dachte das organisatorische Personal über einen Umzug nach, es entschied sich aber dagegen, weil dann vielleicht kein Kirchengesang mehr möglich gewesen wäre.7 Ein weiteres Problem bestand in der Gefahr von Luftangriffen während der Gottesdienste. Am 25. April beschloss die Gruppe, dass die Gottesdienste im Falle eines Luftangriffs wie gewohnt fortgesetzt werden sollten. Allerdings wurden die Lieder von den Leser:innen vorgetragen und nicht von der Gemeinde gesungen.8
Eine weitere erhebliche Herausforderung war der fehlende Zugang zu Literatur der Christlichen Wissenschaft. Anders als Glaubensgemeinschaften mit einer ordinierten Priesterschaft, benötigten Angehörige der Christlichen Wissenschaft Zugriff auf die Bibel und Mary Baker Eddys Schriften, einschließlich der wöchentlichen Lektionspredigt, die von Der Mutterkirche zusammengestellt und im Vierteljahresheft der Christlichen Wissenschaft veröffentlicht wird. Der Sentinel vom 2. Februar 1946 enthielt folgenden Bericht:
Ungeachtet der Tatsache, dass alles, was ins Lager gebracht wurde, von den Internierten auf dem Rücken getragen werden musste, waren die Angehörigen der Christlichen Wissenschaft in der Lage ausreichend Literatur zur Verfügung zu stellen, um die Bedürfnisse der kleinen anfänglichen Gemeinden zu stillen. Als die Zahl der Interessenten und somit auch der Wunsch, Mary Baker Eddys Werke zu lesen, zunahm, wurde der Bedarf durch das Eintreffen zweier unerwarteter Pakete mit Büchern und Zeitschriften gedeckt. Diese waren an Bücherständen von den wenigen in Hongkong verbliebenen Mitgliedern chinesischer Herkunft sowie Angehörige von Drittstaaten, gekauft worden, die sich dies zu ihrer liebevollen Aufgabe gemacht hatten, bis die japanische Verwaltung die Zusendung von Druckerzeugnissen in das Lager untersagte.9
Insbesondere der fehlende Zugang zu aktuellen Ausgaben des Vierteljahreshefts stellte eine Herausforderung dar. Die Leser:innen brauchten die Stellenangaben für die Bibel und Eddys Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift, um Gottesdienste abhalten zu können. Ein Bericht des Komitees für Literaturverteilung für die Jahre 1942–1943 erläutert, wie die internierten Angehörigen der Christlichen Wissenschaft auf diesen Bedarf reagierten:
Anfangs wurden handschriftliche Kopien der Vierteljahreshefte der C.W. (Oktober–Dezember 1942 und Januar–März 1943) angefertigt, die hineingebracht worden waren, aber als die Zahl der Studierenden anstieg, erwies sich dies als schwierig, und nun wird dank der Liebenswürdigkeit eines Mitglieds eine ausreichende Anzahl an Kopien mit Maschine geschrieben, um den wöchentlichen Bedarf zu decken …10
In einem Sitzungsprotokoll vom 9. März 1945 wird die Dankbarkeit des Vorstands des Zweigs für Ausgaben des Vierteljahreshefts ausgedrückt, die in Paketen aus den Vereinigten Staaten eingetroffen waren.11 Das Komitee für Veröffentlichungen für Kanton und Hongkong berichtete später, dies sei das erste Mal seit Jahren gewesen, dass sie in der Lage waren, „mit dem Rest der Welt Schritt zu halten“.12
Neben den Ausgaben des Vierteljahreshefts war es außerdem für die internierten Mitglieder der Gemeinde schwierig, an die Texte der Lieder aus dem Liederbuch der Christlichen Wissenschaft zu gelangen, die fester Bestandteil der Gottesdienste sind. Offensichtlich wurden diese von Hand abgeschrieben, damit mehr Personen mitsingen konnten. Das Archiv der Bibliothek enthält mehrere Kopien dieser abgeschriebenen Lieder, darunter solche mit Texten von Eddys Gedichten „Liebe“, „Der Mutters Abendgebet“ und „O sel’ge Weihnacht“ ebenso wie Phillips Brooks’ „O kleines Städtchen Bethlehem“. Lieder wie diese wurden möglicherweise beim Gottesdienst am Danksagungstag gesungen, den die internierten Angehörigen der Christlichen Wissenschaft am Neujahrstag abhielten.13 Ein Bericht der Schriftführung beschreibt einen solchen Gottesdienst:
Das war ein besonders eindrucksvoller Gottesdienst, der am Nachmittag des Neujahrstages in Raum 34 A.3 abgehalten wurde. Eine Rekordzahl von 24 Personen war anwesend, die alle Gott aufrichtig für seine liebevolle Fürsorge und Güte danken wollten.14
Am 18. August 1945 ging die Nachricht durch die chinesische Presse, dass der japanische Kaiser die Kapitulationsbedingungen der Alliierten akzeptiert hatte.15 Im Jahr darauf veröffentlichte Annette Powell ihr Zeugnis im Sentinel. Während der Zeit ihrer Internierung im Stanley-Lager hatte sie in den christlich-wissenschaftlichen Gottesdiensten als Erste Leserin gedient. Auch wenn die Geschichte eines jeden Menschen einzigartig ist, so spiegelt die Beschreibung, wie der Glaube ihr in diesen schwierigen Jahren Kraft gegeben hat, die Erfahrungen anderer Internierter aus ihrer eigenen und aus anderen Religionsgemeinschaften wider:
Die abnormen Bedingungen, unter denen ich im Lager lebte, brachten die Irrtümer der Ungeduld, der Intoleranz, der Feindseligkeit, des Selbstmitleids und der Selbstverurteilung an die Oberfläche, und sie mussten immer wieder von neuem bewältigt werden. Durch kontinuierliches Gebet, durch Wachsamkeit und hingebungsvolles Bemühen bin ich in die Lage versetzt worden, sie unpersönlich zu machen und ihre Nichtigkeit zu erkennen, indem ich bewies, was unsere geliebte Führerin Mary Baker Eddy auf Seite 118 von Vermischte Schriften schreibt: „[D]er Kampf mit dem Selbst ist gewaltig; er gibt einem reichlich Beschäftigung, und das göttliche Prinzip wirkt mit euch – und Gehorsam krönt beharrliches Bemühen mit immerwährendem Sieg.“16
Um mehr über die Kraft von Liedern wie denen aus dem Liederbuch der Christlichen Wissenschaft zu erfahren, hören Sie sich „Hymns for our time – a conversation with Ruth Duck“ [Lieder für unsere Zeit – ein Gespräch mit Ruth Duck] an, eine Seekers and Scholars [Suchende und Forschende] Podcast-Episode.
Dieser Blog steht auf unseren englischen, französischen, portugiesischen und spanischen Webseiten zur Verfügung.
- Geoffrey Charles Emerson, „Stanley Internment Camp, Hong Kong, 1942–1945: A Study of Civilian Internment during the Second World War“ [Stanley Internierungslager, Hong Kong, 1942–1945: Eine Studie über die Internierung von Zivilistinnen und Zivilisten während des Zweiten Weltkriegs], MA Thesis, (University of Hong Kong, 1973), 1, 3, 8.
- Ebd., i.
- Ebd., 201.
- Ebd., 6, 11, 16, 84–85, 88–89.
- Annette M. Rowell, Zeugnis, Christian Science Sentinel, 19. Oktober 1946, 1836–1837.
- Emerson, „Stanley Internment Camp“, 202, 204.
- „Quarterly Report“ [Vierteljahresbericht], 23. Februar 1945, Kirchenarchiv, Box 38860, Ordner 172031.
- „Meeting Minutes“ [Sitzungsprotokoll] 25. April 1945, Kirchenarchiv, Box 38860, Ordner 172183.
- „Christian Science Committee on Publication for Canton and Hong Kong, China, Reports“ [Komitee für Veröffentlichungen der Christlichen Wissenschaft für Kanton und Hongkong, China, Berichte] Christian Science Sentinel, 2. Februar 1946, 203. Für den vollständigen Bericht siehe Seiten 203-204.
- P. A. Ayrton, „Literature Distribution“ [Literaturverteilung], 1943, Kirchenarchiv, Box 38860, Ordner 172563.
- „Meeting Minutes“ [Sitzungsprotokoll], 9. März 1945, Kirchenarchiv, Box 38860, Ordner 172183.
- „Christian Science Committee on Publication for Canton and Hong Kong, China, Reports“, Sentinel, 2. Februar 1946, 203–204.
- Im Handbuch der Mutterkirche sah Mary Baker Eddy für den jährlichen Danksagungstag einen Gottesdienst mit einer eigenen Lektionspredigt vor. In den Vereinigten Staaten halten Zweige der Christlichen Wissenschaft diesen Gottesdienst am vierten Donnerstag im November ab. In anderen Ländern, in denen der Danksagungstag ein Feiertag ist, findet er im Allgemeinen an dem entsprechenden Termin statt. In Ländern ohne Danksagungstag können die Gemeinden selbst einen Termin auswählen, an dem sie den jährlichen Gottesdienst abhalten.
- „Clerk’s Report: Annual Meeting Year ending Nov. 1944“ [Bericht der Schriftführung: Jahresversammlung Ende Nov. 1944], c. 1944, Kirchenarchiv, Box 38860, Ordner 172447.
- Louie Stops, „Raising the Union Jack at Hong Kong“ [Den Union Jack in Hongkong hissen], The Christian Science Monitor, 19. Oktober 1945, 18.
- Annette M. Rowell, Zeugnis, Christian Science Sentinel, 19. Oktober 1946, 1836–1837.