Hat Der geheime Garten Verbindungen zur Christlichen Wissenschaft?

War Frances Hodgson Burnett Christliche Wissenschaftlerin? Können wir in ihrem beliebten Kinderbuch Der geheime Garten Einflüsse der Christlichen Wissenschaft finden?
Hinweis an alle, die Der geheime Garten noch nicht gelesen haben: Dieser Artikel verrät Teile des Inhalts und könnte Ihren Lesespaß minimieren!

Buchcover der englischen Originalausgabe von Der geheime Garten, ca. 1911.
Mit freundlicher Genehmigung der Library of Congress, Abteilung Seltene Bücher und Sonderkollektionen.
Frances Eliza Hodgson kam am 24. November 1849 in Cheetham, Manchester (England), zur Welt. Ihre Familie wanderte 1865 in die Vereinigten Staaten aus, wo sie mit 19 ihre Karriere als Schriftstellerin begann und Geschichten für Zeitschriften schrieb. 1873 heiratete sie Swan Burnett und sie bekamen zwei Söhne: Lionel und Vivian. Nach einem zweijährigen Aufenthalt in Paris kehrten die Burnetts in die Vereinigten Staaten zurück und ließen sich in Washington, DC, nieder, wo Frances eine erfolgreiche Karriere als Schriftstellerin begann und Bücher für Kinder wie auch für Erwachsene schrieb. Das erste ihrer beliebten Kinderbücher, Der kleine Lord, kam 1886 in englischer Sprache heraus.
In den frühen 1880er-Jahren wurde Burnetts Interesse an der Christlichen Wissenschaft sowie am Gemütsheilen (woraus sich die „Neugeistbewegung“ entwickelte), Spiritismus und der Theosophie geweckt. Ihr Interesse an all dem wurde möglicherweise durch einen lebenslangen Kampf mit Depressionen und „Nervenschwäche“ genährt.
Laut ihrem Sohn Vivian besuchte Burnett während dieser Zeit einen Kurs in Metaphysik bei einer ehemaligen Christlichen Wissenschaftlerin, Anna B. Newman.1 Newman hatte im März 1881 Unterricht bei Mary Baker Eddy, der Gründerin der Christlichen Wissenschaft, genommen, kehrte der Bewegung der Christlichen Wissenschaft jedoch noch im selben Jahr den Rücken. Aus Korrespondenzen zwischen Mrs. Eddy und verschiedenen Christlichen Wissenschaftler:innen in den 1880ern geht deren Überzeugung hervor, dass Newmans Praxis und Lehre von der authentischen Christlichen Wissenschaft abwichen. Dennoch betrachtete Burnett die Christliche Wissenschaft offenbar positiv, auch wenn sie nie einer Kirche oder Organisation der Christlichen Wissenschaft beitrat.
1890 starb Burnetts sechzehnjähriger Sohn Lionel an Tuberkulose. In den 1890er-Jahren lebte sie einige Zeit in England und 1898 ließ sie sich von ihrem Mann scheiden. 1900 heiratete sie Stephen Townsend, doch nach zwei Jahren wurde auch diese Ehe geschieden. Schließlich ließ sie sich in Nassau County, New York, nieder. Sie starb dort 1924 und liegt auf dem Friedhof Roslyn in Greenvale, New York, begraben. Ihr Sohn Vivian wurde letztendlich ein Christlicher Wissenschaftler; er wurde 1918 Mitglied der Mutterkirche (der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler). Später trat er Erster Kirche Christi, Wissenschaftler, Great Neck, New York, bei. Vivians Artikel „Unity in Church Building“ [Einheit beim Bau einer Kirche] erschien im Christian Science Sentinel vom 12. Dezember 1931. Ein Jahr später erschien sein Gedicht „O seht, wie Gottes Güte erstrahlt an jedem Ort“ im englischen Liederbuch der Christlichen Wissenschaft.
Burnett gab die englische Originalausgabe von Der geheime Garten 1911 heraus. Im Lauf der Jahre haben manche Menschen geglaubt, dass sie Christliche Wissenschaftlerin war und dass man die Lehren der Christlichen Wissenschaft in diesem Roman wiedererkennen kann. Doch das Buch enthält faktisch keine Inhalte, die konkret der Christlichen Wissenschaft zugeordnet werden können, wie sie von Mary Baker Eddy gelehrt wurde. Leser:innen werden vielmehr klare Hinweise auf die Neugeistbewegung, östliche Philosophie (möglicherweise durch die Linse der Theosophie gefiltert) und Spiritismus finden.
Der geheime Garten handelt von der jungen Mary Lennox, die ihre frühe Kindheit in Indien verbringt und als verwöhntes und kränkliches Kind aufwächst: „[Mary] hatte ein kleines schmales Gesicht und einen kleinen dünnen Körper, dünnes helles Haar und einen sauertöpfischen Gesichtsausdruck. Ihr Haar war gelb, und ihr Gesicht war gelb, weil sie in Indien geboren und auf die eine oder andere Weise immer krank gewesen war. … als sie sechs Jahre alt war, [war sie] so tyrannisch und selbstsüchtig wie ein Kind nur sein konnte.“2 Nach dem Tod ihrer Eltern wird Mary unter die Obhut ihres verbitterten Onkels Archibald Craven gegeben, der in einem 600 Jahre alten Haus mit 100 Zimmern namens Misselthwaite Manor am Rand eines englischen Moorgebiets lebt. Als Cravens Frau zehn Jahre zuvor unter tragischen Umständen verstorben war, hatte er angeordnet, den von ihr so geliebten, von einer Mauer umgebenen Garten dauerhaft zu verschließen und den Schlüssel zu vergraben. Craven verbringt einen Großteil seiner Zeit mit Reisen und ist nur selten zu Hause.
Mary Lennox kommt in Misselthwaite Manor an und findet irgendwann in einem der Zimmer Cravens Sohn Colin, der ebenfalls verwöhnt und kränklich ist. Archibald Craven und seine Hausangestellten glauben, dass Colin schwächlich ist, einen Buckel bekommt und seine Jugendzeit nicht überleben wird. Im Laufe des Buches erlangen Mary Lennox und Colin ausgezeichnete Gesundheit durch die heilende Macht der Natur, indem sie positive Worte wiederholen und vor sich hin singen, und durch Nutzung unerklärter Gemütskräfte, die sie als „Magie“ bezeichnen.
Mary und Colin werden durch einen Jungen namens Dickon auf die heilenden Kräfte der Natur aufmerksam; er ist der Bruder des Dienstmädchens, das sich um Mary kümmert. Dickon verbringt seine Tage im Moor, ist kerngesund und hat einen natürlichen Bezug zu Pflanzen und Tieren. Mary und Colin lernen Dickon kennen, der sie ermuntert, ihre Zeit draußen zu verbringen und die Schönheit und die gesundheitsfördernden Aspekte der Naturwelt wertzuschätzen. Ein Ort, an dem sie diesen Aktivitäten nachgehen, ist der geheime Garten, nachdem Mary den vergrabenen Schlüssel zum Eingangstor gefunden hat. In dem Maße, wie sie Zeit draußen verbringen, bessert sich ihre Gesundheit.
Draußen zu sein ist nicht das einzige, was in Colins Fall für eine bessere Gesundheit vonnöten ist. Er entdeckt, dass seine negativen Ansichten über sich selbst durch positive ersetzt werden müssen. Dies gelingt, indem er viele gute Gedanken und Aussagen über sich wiederholt, in denen er erklärt, dass seine Beine kraftvoll sind, seine Gesundheit bestens ist, usw. Mary erinnert sich an Geschichten aus ihrer Kindheit in Indien über „Fakire“ (Meister und Yogis, denen immense mentale Kräfte beigemessen werden, mit denen sie ihren eigenen Körper kontrollieren). Es gibt Hinweise auf Spiritismus und Reinkarnation.
Es stimmt, dass Colin erklärt, das, was er tue, um seine Gesundheit zu verbessern, sei „wissenschaftlich“. Doch nirgendwo in Der geheime Garten gibt es Hinweise auf die Christliche Wissenschaft als theologisches und metaphysisches System. Vielmehr wird die Christliche Wissenschaft in dem Buch nicht erwähnt. Ebenso wenig gibt es einen Bezug zu Jesus, zum Christentum oder zu christlichem Heilen als durch die Macht und das Licht des einen unendlichen Gottes bewirkt, die die Dunkelheit irriger Überzeugungen vertreibt, in denen Schwäche, schlechte Gesundheit und negative Charaktereigenschaften verwurzelt sind. Es gibt ferner keinen Hinweis darauf, dass Jesus die menschliche Verkörperung des ewigen Christus war, der „zum Fleisch kommt, um den fleischgewordenen Irrtum zu zerstören“,3 oder dass der Christus in seiner rettenden und heilenden Mission auch heute noch „zum Fleisch kommt“.
Es trifft zu, dass die Figuren in Der geheime Garten zu der Erkenntnis kommen, dass Furcht ein Element ist, das ihre schlechte Gesundheit hervorruft und überwunden werden muss. Das ist eine Lehre, die sich in der Christlichen Wissenschaft findet, aber auch ein Bestandteil der Lehren der Neugeistbewegung ist. Es gibt nur eine Stelle weiter hinten im Buch, an der Dickon überredet wird, die Doxologie zu singen, doch es gibt einen vagen Hinweis darauf, dass die von den Figuren praktizierte „Magie“ auf die Existenz einer höheren gottähnlichen Macht hindeutet.
Gegen Ende des Buchs beschreibt Colin seine erhoffte Zukunft als „wissenschaftlicher Entdecker“. Er tut dies auf eine Weise, die eher an Gemütsheilen bzw. die Neugeistbewegung erinnert als an die Christliche Wissenschaft:
„Die großen wissenschaftlichen Entdeckungen, die ich machen werde“, fuhr er fort, „werden über Magie sein. Magie ist eine großartige Sache und kaum jemand weiß etwas darüber, außer ein paar Menschen in alten Büchern – und Mary ein wenig, weil sie in Indien geboren wurde, wo es Fakire gibt. Ich glaube, Dickon kennt sich ein wenig mit Magie aus, aber vielleicht weiß er es nicht. Er bezaubert Tiere und Menschen. Ich hätte ihn niemals in meine Nähe kommen lassen, wenn er kein Tierbeschwörer gewesen wäre – was auch ein Jungenbeschwörer ist, weil ein Junge ein Tier ist. Ich bin mir sicher, dass Magie in allem steckt, nur dass wir nicht genug Verstand haben, sie zu begreifen und sie Dinge für uns tun zu lassen – wie Elektrizität und [Pferdestärken] und Dampfantrieb.“4
Mary Baker Eddy erklärte im Christian Science Journal vom Juni 1885, wie sie den Unterschied zwischen Gemütsheilen und der Christlichen Wissenschaft sah:
Wenn Gott die Tätigkeit des Gemüts nicht regiert, ist die Tätigkeit verkehrt. Wenn Er sie aber regiert, entspricht sie der Wissenschaft. Nimm die Theologie des mentalen Heilens hinweg, und du nimmst ihm seine Wissenschaft, und was bleibt, ist eine menschliche „Gemütskur“, nicht mehr und nicht weniger als ein menschliches Gemüt, das ein anderes beherrscht, wodurch du zugibst, dass es mehr als einen Gott gibt, wenn du zugibst, dass Gott Gemüts ist. Wenn du keine wahre Vorstellung von der heilenden Theologie des Gemüts hast, kannst du ihre Wissenschaft weder verstehen noch demonstrieren, und du wirst deine Meinung von ihr im Namen der Wahrheit anwenden.5
Obwohl sich Der geheime Garten – sogar unter einigen Christlichen Wissenschaftler:innen – großer Beliebtheit erfreut, gibt der geistige Eklektizismus von Frances Hodgson Burnett vornehmlich die Lehren der Neugeistbewegung, der Theosophie und des Spiritismus wieder. Dieses Buch enthält keine konkrete Theologie oder Metaphysik der Christlichen Wissenschaft.
Dieser Blog steht auf unseren englischen, französischen, portugiesischen und spanischen Websites zur Verfügung.
- Vivian Burnett, The Romantick Lady: The Life Story of an Imagination [Die romantische Dame: die Lebensgeschichte einer Vorstellungskraft] (New York: Scribners, 1927), 146.
- Frances Hodgson Burnett, Der geheime Garten (Norderstedt: BoD – Books on Demand, 2019), 5.
- Mary Baker Eddy, Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift (Boston: The Christian Science Board of Directors), 583.
- Burnett, Der geheime Garten, 201–202.
- Mary Baker Eddy, „Questions and Answers“ [Fragen und Antworten], The Christian Science Journal, Juni 1885, 50 (sehen Sie auch Vermischte Schriften von Mary Baker Eddy, S. 58–59). Sie beantwortet die Frage: „Hilft die Theologie der Christlichen Wissenschaft beim Heilen?“