Frauen der Geschichte: Clara Shannon
Clara Marie Sainsbury Shannon (1858–1930) war mehr als 20 Jahre eine der engsten Gefährtinnen von Mary Baker Eddy. Während dieser Zeit studierte sie die Christliche Wissenschaft direkt bei Eddy, gehörte zu ihrem Mitarbeiterstab und erlebte einige der einschlägigen Ereignisse in Mrs. Eddys Leben aus erster Hand mit. „Die liebe Miss Shannon“, schrieb Mary Baker Eddy einmal, „gehört zum Salz dieser Erde.“1
Frau Shannon kam in England zur Welt und wanderte 1873 mit ihrer Familie nach Montreal, Kanada, aus. Dort wurden sie und ihre Schwester Blanche 1886 mit der Christlichen Wissenschaft bekannt und stellten sehr bald fest, dass sie sie von körperlichen Krankheiten heilte.2
Clara Shannon und Mary Baker Eddy begegneten sich zum ersten Mal, als sie im September 1888 Elementarunterricht in der Christlichen Wissenschaft nahm.3 Was sie lernte, hatte große Auswirkungen. Sie berichtete später zum Beispiel von einer Begebenheit, die sich zutrug, als Mrs. Eddy einen Unterrichtstag abschloss und eine Frau hereingebracht wurde, die an einer psychischen Erkrankung litt:
Ich beobachtete, wie sich der Gesichtsausdruck [der Frau] veränderte – von Furcht zu Frieden und Freude. Und oh, welch eine Liebe spiegelte sich im Gesicht unserer Führerin, als sie zu ihr hinunterblickte, beide Arme ausstreckte und sie aufrichtete, und sie sagte: „Stehen Sie auf, Liebes!“ Dann lehnte unsere liebe Lehrerin den Kopf dieser Bedürftigen an ihre Schulter und streichelte ihr Gesicht, als sie ihr liebevoll von der Wahrheit erzählte.4
Frau Shannon schrieb Mrs. Eddy einige Wochen später: „Nochmals und immer vielen Dank für all Ihre Güte mir gegenüber; diese Liebe kann niemals sterben. Sie ist so groß, dass ich sie nicht in Worte fassen kann. Gott, Leben, Liebe sind jetzt so anders!“5 Nach dem Unterricht kehrte sie nach Montreal zurück, um dort eine Heilpraxis einzurichten.6
In den darauffolgenden Jahre korrespondierte Clara Shannon regelmäßig mit Mary Baker Eddy, bat sie um Rat bezüglich des Heilens von Patient:innen, berichtete von den Fortschritten der Christlichen Wissenschaft in Montreal oder brachte einfach ihre Wertschätzung für Eddys Arbeit zum Ausdruck.7 Sie setzte ihre Studien fort und meldete sich am 21. Mai 1889 zur Lehrerbildungsklasse am Lehrinstitut für Metaphysik in Massachusetts an. Mary Baker Eddy unterrichtete nur den ersten Tag. Die anderen Tage ließ sie Ebenezer J. Foster Eddy übernehmen. Das war bis zum November 1898 die letzte Klasse, die Mrs. Eddy unterrichtete.8 Doch Mary Baker Eddy unterstützte Frau Shannons Arbeit die ganze Zeit über. Im Juli 1889 schrieb sie beispielsweise: „Meine sehr liebe Schülerin, ich bin hocherfreut über das Wachstum, das ich in Ihnen wahrnehme. Bleiben Sie in Ihrem Feld und Sie werden ernten, was Sie gesät haben[.] Ihre Treue und aufrichtigen Motive werden ihren Lohn mit sich bringen.“9
Im Juni 1892 zog Mrs. Eddy von Boston nach Concord, New Hampshire, wo sie sich ein Zuhause schuf, das sie Pleasant View nannte. Clara Shannon gehörte zu den engen Gefährt:innen, die eingeladen wurden, dort mit ihr zu leben, zusammen mit anderen bekannten Personen wie Laura Sargent und Calvin Frye. Sie lebte von 1892 bis 1903 mit Unterbrechungen im Haus Pleasant View, und war oftmals dort, wenn Sargent unterwegs war. Ihr längster Aufenthalt zur Mitarbeit war von September 1894 bis Januar 1899.10 Als Mitglied des Haushalts wurde Frau Shannon zu einer der Personen, denen Mary Baker Eddy am meisten vertraute. In ihren gesamten Erinnerungen haben wir anrührende und persönliche Berichte von Eddys frühem Leben, darunter diesen:
Hier ist eine Anekdote, die [Eddy] mir als Lektion im Sparen erzählte – um mir beizubringen, nicht verschwenderisch zu sein. Als sie Kinder waren, verbrachten sie die Winterabende damit, Maiskolben für Hühnerfutter usw. zu entkernen. Einmal saß die kleine Mary am Feuer und es fiel ihr beim Arbeiten ein Maiskorn auf den Boden. Sie schob es mit ihrem kleinen Fuß zum brennenden Holzscheit hin. Ihre Mutter sagte: „Mary, bück dich und hebe das Maiskorn auf.“ Sie antwortete: „Oh! Mutter, es ist doch nur ein Maiskorn.“ „Das macht nichts“, sagte ihre Mutter. „Es wird das Essen für ein kleines Hühnchen bereichern.“ Ich habe diese Lektion nie vergessen.11
Mary Baker Eddy sprach mit Clara Shannon auch über die Bedeutung von Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift und ihre Entscheidung, ein Buch über ihr Studium des Heilens herauszugeben. Sie war gerufen worden, um eine Frau durch die Christliche Wissenschaft zu behandeln, die an „Schwindsucht“ litt,12 und der die Ärzte nicht helfen konnten. Frau Shannon erinnerte sich, dass Mrs. Eddy ihr von einer Unterhaltung berichtet hatte, die stattgefunden hatte, nachdem die Frau geheilt worden war:
Einer der Ärzte, ein alter, erfahrener Mediziner, war Zeuge der Genesung, und er sagte: „Wie haben Sie das gemacht, und was haben Sie getan?“ Sie sagte: „Ich kann es Ihnen nicht sagen, Gott hat es gemacht“, und er sagte: „Wieso schreiben Sie es nicht in einem Buch auf, veröffentlichen es und geben es der Welt?“ Als sie nach Hause kam, schlug sie die Bibel auf und ihr Blick fiel auf die Worte: „So spricht der Herr, der Gott Israels: Schreibe dir alle Worte, die ich zu dir geredet habe, in ein Buch.“ Jeremia 30:2; was ihr Gottes Führung zeigte.13
Da sie in Pleasant View arbeitete, erlebte Clara Shannon einige der bedeutsamsten Momente der frühen Geschichte der Christlichen Wissenschaft mit. Einer der bekanntesten war Eddys erster Besuch des unlängst fertiggestellten Originalgebäudes der Mutterkirche in Boston am 1. April 1895. Mary Baker Eddy, Clara Shannon und Calvin Frye fuhren früh an jenem Morgen von Pleasant View ab, und Frau Shannon beschrieb, was sie sah, als Mary Baker Eddy das Gebäude erstmals betrat:
Dann ging Mutter in den Kirchensaal und ich folgte und blieb hinten in der Kirche an der Tür, damit jemand zur Hand war, falls sie etwas brauchte.
Dann ging unsere Führerin den linken Gang der Kirche entlang auf das Leserpult zu; sie ging sehr langsam und blieb mehrmals stehen, um nach oben zu schauen und sich umzusehen; das tat sie, bis sie am Podium der Leser ankam, und blieb dann an den Stufen dort hinauf stehen. Dort kniete sie sich auf die erste Stufe, und ich weiß genau, wie sehr ihr dankbares Herz sich im Dank der göttlichen Liebe zuwandte, für den ganzen Weg, den Gott sie geführt hatte. 14
Dies war ein Augenblick tiefster Bedeutung – nicht nur für Eddy, sondern für die anderen frühen Mitarbeiter:innen der Bewegung der Christlichen Wissenschaft. Clara Shannon schrieb auch folgende Erinnerung auf:
Dann durchquerte Mutter die Kirche und bemerkte, dass Herr Colman15 weinte; er saß in der Bank vor mir, hatte den Kopf gesenkt und lehnte sich auf die Bank vor ihm. Er war so von Freude und von Erinnerungen an die Vergangenheit und von allem, was er gerade gesehen und gehört hatte, überwältigt.
Unsere Führerin ging zu der Bank und setzte sich neben ihn, berührte seine Schulter und sagte: „Lieber Bruder, erinnern Sie sich nicht, wie wir in vergangenen Tagen in den Veranstaltungssaal gingen, um unsere Gottesdienste dort abzuhalten und wie Sie und ich Papierschnipsel und Orangenschalen aufheben mussten, um den Raum in Ordnung zu bringen.“ Dann erinnerte sie ihn an mehrere andere Dinge, die damals passiert waren, und sagte ihm, wie anders nun alles war und wie viel Grund wir hatten, Gott zu danken; sie ermunterte ihn, mit Dank und Freuden aufzuschauen.16
1903 kehrte Clara Shannon auf Ermunterung Mary Baker Eddys nach England zurück, um dort das Heilen zu praktizieren. Sie wurde später Lehrerin der Christlichen Wissenschaft. In jener Zeit reiste sie auch in den Nahen Osten.17 Es gibt keinen Hinweis auf einen bestimmten Grund für diese Reise, doch es ist gut möglich, dass Mary Baker Eddy diese unterstützte. In ihren Erinnerungen beschrieb Lady Victoria Murray einen Besuch bei Eddy, bei dem diese von ihrem eigenen Interesse an solch einer Reise sprach. Murray berichtete: „Sie [Eddy] zeigte Interesse und Gefallen, als mein Vater ihr von seinen Reisen erzählte, und von Schottland, und sie brachte ihren Wunsch zum Ausdruck, Reisen zu unternehmen, ganz besonders ins Heilige Land.“18
Später verfasste Frau Shannon einen Artikel, in dem sie auf ihren Besuch in Palästina zurückblickte. Auf dem Weg von Jericho nach Jerusalem machte ihre Reisegruppe an einem Ort mit der Bezeichnung „Brunnen der Apostel“ Station. Dort sah sie einen Hirten, der ein Schaf trug. Aus dieser Erfahrung schrieb sie darüber, wie wichtig es ist, für die Menschen zu sorgen, die es besonders brauchen:
Dann erfuhr ich, was am Ende eines jeden Tages passierte, wenn die Schafe in den Pferch gebracht wurden. Wenn der Hirte den Pferch erreicht hatte, ging er zum Gatter, hielt seinen Stab quer davor und ließ ein Schaf zur Zeit ein. Er begutachtete dieses Schaf – die Füße und Knie, sein Fell, Gesicht und den Kopf, und aus seinem Ölhorn salbte er alle Stellen, die verletzt waren oder Kratzer aufwiesen; er badete das Gesicht und den Kopf des Schafes mit Öl, und füllte den Becher, den er für diesen Zweck dort hatte, bis oben hin mit Wasser und ließ das Schaf trinken, so viel es wollte, wie wir im 23. Psalm lesen – „Du salbst mein Haupt mit Öl und schenkst mir übervoll ein“. Dies tat er nach und nach mit jedem einzelnen Schaf, und dann schloss der Hirte das Gatter und blieb die ganze Nacht bei den Schafen.
Der Hirtenstab wird nicht zum Schlagen, sondern zum Befreien benutzt. Wenn ein Schaf fehlt, ruft der Hirte nach ihm, und wenn es nicht kommt, macht er sich auf die Suche. Wenn er es findet und es sich mit den Hörnern in den Dornen und Büschen verfangen hat, befreit er es mit dem Stab (der am Ende eine Art Haken hat) und schenkt ihm so seine Freiheit. Und wenn das Schaf sich auf das Grundstück eines anderen Mannes verläuft, holt er es zurück. Der Stab wird als Schutz und Verteidigung der Schafe vor wilden Tieren und allem benutzt, das sie angreifen könnte; daher der Vers: „Dein Stecken und Stab trösten mich.“19
Clara Shannon blieb Praktikerin und Lehrerin der Christlichen Wissenschaft und verbrachte den Rest ihres Lebens in London. Sie hatte zeitweilig Geld- und Gesundheitsprobleme, doch insgesamt leistete sie einen positiven Beitrag zur Bewegung in England. Der Vorstand der Christlichen Wissenschaft bezahlte ihr in den 1920ern eine Pension, nachdem er erfuhr, dass Lord und Lady Astor, bekannte britische Christliche Wissenschaftler:innen, sie finanziell unterstützt hatten.20
Während Frau Shannons Arbeit in den Anfängen der Christlichen Wissenschaft unzweifelhaft bedeutend war, zeigt unsere Sammlung deutlich, dass die besondere Fürsorge und Unterstützung, die sie Mary Baker Eddy zukommen ließ, herausragend waren. Ein Auszug eines Briefes, den sie 1892 erhielt, zeigt, dass Mrs. Eddy diese Tatsache erkannte und tief dankbar war: „Ich danke Ihnen, meine Liebe, zuerst für Sie selbst und zweitens für das, was Sie mir sind, und drittens, für das Gute, das Sie tun …“21
Hören Sie Women of History from the Mary Baker Eddy Library Archives [Frauen der Geschichte aus den Archiven der Mary Baker Eddy Bibliothek], eine Seekers and Scholars [Suchende und Gelehrte] Podcast-Episode mit den Bibliotheksmitarbeiter:innen Steve Graham und Dorothy Rivera (auf Englisch).
Dieser Blog steht auf unseren englischen, französischen, portugiesischen und spanischen Websites zur Verfügung.
- Mary Baker Eddy an Marguerite Sym, 7. Mai 1889, L05555.
- H. Roy und Gladys Gertrude Conway, „How Christian Science came to Montreal, Que.“ [Wie die Christliche Wissenschaft nach Montreal, Quebec, kam], 2. Oktober 1969; Standort in der Mary Baker Eddy Sammlung: Subject File, Clara M.S. Shannon (1858–1930), 1.
- „The Students of Mary Baker Eddy“ [Die Schüler:innen von Mary Baker Eddy], Die Mary Baker Eddy Bibliothek, 7. Januar 2019, https://www.marybakereddylibrary.org/research/who-took-classes-on-christiascience-with-mary-baker-eddy/.
- Yvonne Caché von Fettweis und Robert Warneck, Mary Baker Eddy: Christliche Heilerin, Erweiterte Ausgabe (Boston: The Christian Science Publishing Society, 2015), 156.
- Clara M.S. Shannon an Mary Baker Eddy, 18. Oktober 1888, IC318.44.003.
- H. Roy und Gladys Gertrude Conway, „How Christian Science came to Montreal, Que.“, 2. Oktober 1969; Subject File, Clara M.S. Shannon (1858–1930), 1.
- Sehen Sie zum Beispiel Clara M.S. Shannon an Mary Baker Eddy, 15. Februar 1889, IC318.44.009.
- „The Students of Mary Baker Eddy“, die Mary Baker Eddy Bibliothek, 7. Januar 2019, https://www.marybakereddylibrary.org/research/who-took-classes-on-christian-science-with-mary-baker-eddy/.
- Mary Baker Eddy an Clara M.S. Shannon, 4. Juli 1889, L07751.
- We Knew Mary Baker Eddy, Expanded Edition, Volume II [Wir kannten Mary Baker Eddy, Erweiterte Ausgabe, Band 2] (Boston: The Christian Science Publishing Society, 2013), 174; Robert Peel, Mary Baker Eddy: The Years of Authority [Mary Baker Eddy: Die Jahre der Autorität] (Boston: The Christian Science Publishing Society, 1977), 12.
- Clara Shannon, „Golden Memories“ [Goldene Erinnerungen], 1927, Erinnerungen, 8.
- Damit ist aller Voraussicht nach Tuberkulose gemeint. Jedoch wurde Schwindsucht damals aufgrund verschiedenster Symptome diagnostiziert, und die beiden Begriffe sind nicht gleichbedeutend.
- Clara Shannon, „Golden Memories“, 1927, Erinnerungen, 24.
- Ebd., 44–45.
- E. L. (Erwin Leslie) Colman (1849–1895).
- Clara Shannon, „Golden Memories“, 1927, Erinnerungen, Clara Shannon, 47.
- We Knew Mary Baker Eddy, Expanded Edition, Volume II (Boston: The Christian Science Publishing Society, 2013), 175.
- Victoria Murray, 1918, Erinnerungen, 1.
- Clara Shannon, „St. John. Chapter X 4, 5, 7, 9, 11, 14, 15, 27–30“ [Johannes, Kapitel X 4, 5, 7, 9, 11, 14, 15, 27–30], undatiert; Subject File, Clara M.S. Shannon (1858–1930), 1–2.
- Hermann S. Hering an den Vorstand der Christlichen Wissenschaft, 24. August 1929.
- Mary Baker Eddy an Clara M.S. Shannon, 10. Oktober 1892, L07757.